„Es geht darum, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und zugleich einen finanziellen Wert zu schaffen."

Experte:    Peter Wilms, Sustainability Manager Rechargeable Battery Materials, Umicore   |   25.04.2024   |   Teilen auf in

 

 

Herr Wilms, auf welcher Transformationsreise befindet sich Umicore in Sachen Nachhaltigkeit?

PW: Wir sind ein Unternehmen der Kreislaufwirtschaft mit umfassender Expertise in den Bereichen Materialwissenschaft, Chemie und Metallurgie. Nachhaltige Wertschöpfung ist bei uns darauf ausgerichtet, Materialien in einer Weise zu entwickeln, zu produzieren und zu recyceln, die unserer Unternehmensmission "Materialien für ein besseres Leben" entspricht.

Unser umfassendes Maßnahmenportfolio und unser Geschäftsmodell, das auf geschlossenen Kreisläufen basiert, tragen dazu bei, mehrere Zielsetzungen zu verfolgen: Etwa, den Mobilitätswandel zu beschleunigen, die steigende Nachfrage nach modernen Werkstoffen zu bedienen und eine noch zirkulärere Wirtschaft für kritische Metalle zu ermöglichen. Dabei engagieren sich über 11.000 Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt täglich dafür, unsere Mission in die Realität umzusetzen.

Vor zwei Jahren setzten wir uns sehr ehrgeizige Ziele für unsere Scope-1- und Scope-2-THG (Treibhausgas)-Emissionen, um bis 2035 kohlenstoffneutral zu werden. Hierbei wollen wir zwei Etappenziele erreichen: eine Verringerung um 20% bis 2025 und um 50% bis 2030 im Vergleich zu unserem Referenzjahr 2019. Ein weiteres Ziel ist, im Rahmen von Scope 3 die Kohlenstoffintensität unserer eingekauften Materialien bis 2030 um 42% zu reduzieren. Berücksichtigt man das exponentielle Geschäftswachstum, das unsere Strategie „RISE 2030“ vorsieht, ist das besonders ambitioniert.

 

Gibt es dazu ein Umsetzungsbeispiel aus Ihrem globalen Werksverbund? 

PW: Eines unserer Leuchtturmprojekte ist unser Werk in Jiangmen in China. Wie alle Einheiten unserer Organisation erhielt der Standort klare Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen, der Dampfverbrauch soll bis 2026 um 70% gesenkt werden. Der Standort hatte dazu bereits Maßnahmen ergriffen, aber es waren noch zusätzliche Initiativen auf dem Weg dorthin erforderlich. Um den Standort auf seiner eigenen "Heldenreise" zu unterstützen, starteten wir im vergangenen Jahr ein Projekt mit EFESO und DB Energy und entwickeln dort eine passende Roadmap.

 

An welchen wesentlichen Schritten orientiert sich die Zusammenarbeit in diesem Projekt? Und welche Ergebnisse wurden bereits erzielt?

PW: Als Auftakt ermittelten wir bei einer Betriebsbegehung innerhalb einer Woche den Status quo beim Thema „Energieverbrauch“. Dabei wurden auch bereits geeignete Sparmaßnahmen benannt. Nach dieser Prüfung erstellte das Projektteam eine Liste mit vier „Quick Wins“ und zwanzig komplexeren Projekten, von denen wir sechs priorisierten. Nach nur einer Woche wussten wir also genau, wo sich die wirksamsten Ansatzpunkte zur Emissionssenkung befanden – und an welchen Stellen es sich vorerst nicht lohnte, Zeit und Geld zu investieren.

Die Quick Wins wurden innerhalb von zwei Monaten umgesetzt. Dabei handelte es sich vor allem um die Änderung von Prozessparametern, was direkte Einsparungen erbrachte. Für die sechs anspruchsvolleren Projekte, die mit CapEx-Ausgaben verbunden sind, führten wir eine Pinch-Analyse durch. Somit konnten wir die Realisierbarkeit prüfen und unsere Annahmen für den Business Case bestätigen.

Der letzte Schritt erfolgte im September 2023, als wir mit EFESO die CapEx-Roadmap entwickelten. Hier legten wir die bestmögliche Reihenfolge der Projekte fest, unter Berücksichtigung der Technologie-Roadmap und des mehrjährigen Geschäftsplans des Standortes. Zudem entwickelten wir mehrere Szenarien dazu, wie die Umsetzungsphase verlaufen könnte. Das mag selbstverständlich klingen, ist aber entscheidend für den Erfolg solcher Projekte – gerade in einem dynamischen Marktumfeld wie unserem. Dank dieses Vorgehens konnten wir den richtigen Zeitpunkt für den Start der jeweils passenden Initiative vorab bestimmen.

 

Inwiefern macht der Standort Jiangmen bereits Fortschritte bei diesen Projekten? 

PW: Wie erwähnt erbrachten die Änderungen an Prozessparametern schnelle Ergebnisse. Bei den langfristigen Projekten ging es z.B. um Veränderungen in der Anlagenstruktur. Ein zentrales Projekt ist hier die Installation eines „Heat Ring“, um die Spitzen- und Tiefstwerte der Abwärme der verschiedenen Anlagen zu verbinden. Wie in der Prozessindustrie üblich, wurde bis dato jede Einheit separat betrachtet und auf die Prozesseffizienz hin optimiert – ohne eine ganzheitliche Betrachtung der Energiebilanz.

Die Konzentration auf diese Aspekte eröffnet Perspektiven, um bewährte Konzepte mit der Anwendung neuer Technologien zu kombinieren. In diesem Fall haben wir Fernwärmesysteme aus verteilten Wärmequellen geschaffen und einen Pufferspeicher installiert, um Energie zu speichern, wenn sie nicht benötigt wird. Alle bereits umgesetzten und zukünftigen Maßnahmen werden in Summe dazu beitragen, den Dampfverbrauch bis 2026 um 76% zu senken – verglichen mit einem Szenario, in dem nichts getan wird. Darüber hinaus amotisierten sich die Investitionen in die Energieeffizienz in weniger als zwei Jahren. Und genau darum geht es ja: Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und im selben Schritt einen finanziellen Mehrwert zu schaffen.

 

Welche Erfahrungswerte oder Lehren aus dem Transformationsprozess können Sie teilen?

PW: Erstens: Bringen Sie spezialisierte Fähigkeiten ein, um das ganze Potenzial auszuschöpfen. Da es sich um ein komplexes Thema handelt, benötigen Sie neue Ideen und müssen bisherige Annahmen in Frage stellen. Zweitens: Beziehen Sie die Belegschaft in den Prozess mit ein und zögern Sie nicht, Veränderungen vorzunehmen. Transformationshelden experimentieren gerne, probieren aus, scheitern, versuchen es erneut und haben Erfolg. Dafür müssen Sie das richtige Umfeld in der Organisation schaffen, zum Beispiel in der Führungskultur. Zudem sollten Sie den Status quo mit ehrgeizigen Ideen und Vorschlägen in Frage stellen, aber dies mit realistischen und praxisbewährten Lösungen ausbalancieren.

Über Umicore

Umicore NV/SA ist ein belgischer Werkstofftechnologie- und Recyclingkonzern mit Hauptsitz in Brüssel. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 12.000 Mitarbeiter.